Ich werfe schonmal Farbe aufs Papier …

Ein Artikel in der Rheinischen Post:

Im Folgenden: Der vollständige Zeitungsartikel zum Nachlesen – optimiert für die Ansicht auf einem Smartphone.

Ich werfe schonmal Farbe aufs Papier …

Zehn Jahre lang war Marcus S. alias Krickel Krakel obdachlos, nun hat er es mit einem seiner Bilder in die am Sonntag in der Forststraße beginnende, internationale QQArt-Ausstellung „Frequenz“ geschafft. Mehr als 330 Künstler hatten sich dort mit insgesamt 830 Werken beworben.

VON SABINE MAGUIRE

HILDEN Eine verlassene Villa ohne Fenster und Türen, kein Wasser und kein Strom: So hat Marcus S. alias Krickel Krakel beinahe zehn Jahre gewohnt. Was für andere allenfalls als „Lost Place“-Fotomotiv taugt, war für den 44-Jährigen ein Rückzugsort. Im Winter drei Jacken übereinander, im Schlafsack auf einem notdürftig zusammengeschraubten Bett: „Schön war’s nicht“, sagt Marcus S., aber darüber „jammern“ wolle er auch nicht. Als er im vergangenen Herbst auszog aus dem Abriss-Bungalow in Düsseldorf-Eller, waren dort alle Wände bemalt. Fast scheint es so, als sei es auch die Kunst gewesen, die ihn so lange hat überleben lassen. Wer sich hineinfühlt in ein solches Leben, der weiß: Einfach ist es nicht, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird und man den Halt verliert. Und einfach weitermachen geht dann meist auch nicht.

Bei Marcus S. war es das Ende einer Beziehung, das ihn in der Obdachlosigkeit hat „stranden“ lassen. Aus allem ausgestiegen sei er in den ersten Jahren, abgetaucht, Hilfe wollte er damals nicht. „Voll auf die Schnauze gefallen“ sei er und eigentlich, so sagt er es, würde er am liebsten gar nicht mehr darüber reden. Fast scheint es so, als würde die Vergangenheit dadurch wieder bedrohlich nah an ihn heranrücken. Jetzt, wo der Absturz hinter ihm liegt.

Seit vergangenem Sommer wohnt Marcus S. in einem Appartement, unterstützt vom Düsseldorfer Straßenmagazin „Fiftyfifty“ und dem Obdachlosenprojekt „Housing First“. Auf 30 Quadratmetern, umgeben von Leinwänden, malt er noch immer. Unterstützt von seiner Mentorin Katharina Mayer, die renommierte Düsseldorfer Künstlerin leitet bei „Fiftyfifty“ die „Akademie der Straße“. Die Kunst ist es dann auch, mit der sich Krickel Krakel hineinlocken lässt in ein Gespräch über sein früheres Leben.

Was es braucht, um malen zu können? Eine solche Frage, an einen Künstler gerichtet, wirkt inmitten seines Überlebenskampfes nahezu banal. So genau kann Marcus S. auch gar nicht sagen, was ihn antreibt. Wer morgens aufsteht ohne alles, was üblicherweise zum Leben gehört, der kann kaum darauf warten, dass sich die „richtige“ Stimmung einstellt. Wenn jeder Tag zum Kampf wird und man schauen muss, wie man es bis zum nächsten Tag schafft: Dann wird Kunst zu etwas, das dabei hilft, das eigene Seelenheil zu retten.

Und vor allem wird sie davon abhängig, was man gerade auf dem Sperrmüll gefunden hat. „Ich habe schon mit allem gemalt“, sagt Marcus S. Mit „allem“ meint er alte Bretter als Unterlage und weggeworfene Plastikkarten, um die Farben zu verteilen. Was andere auf dem Müll entsorgen, beflügelt seine Kreativität. Wer so malt, den braucht man nicht nach blauen, grünen oder roten „Phasen“ zu fragen, sondern allenfalls danach, was andere wegwerfen. „Ich werfe schonmal Farbe aufs Papier“, erzählt Krickel Krakel, gerade male er mit Bleistiften. Dass er es mit einem seiner Werke geschafft hat in die QQTec-Ausstellung „Frequenz“, umgeben vom Oeuvre internationaler Künstler? Marcus S. schüttelt den Kopf, so richtig glauben kann er das noch nicht. Es ist seine erste Ausstellung jenseits von „Fiftyfifty“, sein Bild hat er mit dem Fahrrad in die Forststraße gebracht. Er wolle bescheiden bleiben und die Dinge auf sich zukommen lassen, und dann sagt er noch das: „Im Leben kann alles schnell wieder vorbei sein.“

Verleihung des Kunstpreises

Ausstellung
Die Ausstellung unter dem Motto „Frequenz“ zur Verleihung des 11. Internationalen Kunstpreises findet vom 23. März bis 13. April bei QQTec statt. Die Fachjury vergibt einen Geldpreis von jeweils 600 Euro in den Kategorien Malerei/Grafik, Foto/Video und Bildhauerei/Installation; zusätzlich werden die drei Preisträger zu einer gemeinsamen Ausstellung eingeladen.

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